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Ich überlege gerade, die Wohnung zu verlassen, als es einen heftigen Donnerschlag gibt.
Hinein ins Ruhige und Windstille.
Ich erschrecke ein wenig.
Er ist wie ein Startschuss.
Und wirklich, es kracht sofort noch einmal. Sogar ohrenbetäubender als zuvor.
Dunkle Wolken sind in die Straße hereingezogen, hängen fast bis zum Fenster herunter.
Augenblicklich beginnt es zu schütten.
Der Wind greift wild in den Schatten des Baumes an der Wand des Wohnzimmers.
Wasser tropft auf den Boden.
Rinnt die Wand herunter.
Sammelt sich auf dem Teppich. Und versickert.
Die Wassermengen sind erheblich.
Und das Fassungsvermögen des Teppichs ist bald erreicht.
Mein erster Gedanke ist, aus dem Badezimmer einen Kübel zu holen. Aber was soll ich mit einem Kübel gegen das ausrichten, was draußen vor sich geht?
Und jetzt eindringt in meine Wohnung, wie ein Dieb, der nichts mitnimmt, sondern etwas bringt, was ich nicht will.
Selten habe ich ein heftigeres Gewitter erlebt.
Verstört stehe ich vor dem Baum, der sich biegt und windet und Wassermassen abschüttelt wie ein Hund.
Auch auf mich.
Mein Hemd klebt bereits an meinem Körper.
Ich erstarre oft, wenn mir in einer Situation nichts einfällt. Aber ich weiß, dass ich mir jetzt davon gar nichts versprechen darf, deshalb kommt sofort wieder Bewegung in mich.
Das mit dem Kübel ist eine dumme Idee, denke ich sofort.
Das aufblasbare Boot, das wir vor vielen Jahren für einen Urlaub am Meer gekauft haben, hilft mir auch erst, wenn die Situation auf eine unvorstellbare Weise eskaliert.
Was mir nicht sehr wahrscheinlich erscheint.
Im Moment zumindest.
Aber unmöglich ist natürlich nichts, das weiß ich. Ich entscheide mich also mit Weitblick, auch das Schlimmste im Hinterkopf zu behalten. Man weiß nie, sage ich mir.
Marina hat einen Korb, in welchen ich die gebrauchten Handtücher geben soll, nachdem sie wieder getrocknet sind.
Diesen Korb hole ich aus dem Badezimmer und breite die Tücher unter dem Baum aus.
Natürlich sind diese in kürzester Zeit ebenso durchtränkt wie der Teppich, welcher zum Ursprung vieler Flüsse geworden ist, die sich daran machen, weiter in die Wohnung zu fließen.
In mein Arbeitszimmer.
In die Küche.
Draußen kracht es, der Regen schlägt von außen heftig an die Scheiben und er fährt in die Zweige, leert unvorstellbare Wassermengen in seine Krone.
Damit habe ich rechnen müssen.
Ich glaube nicht, jemals einen gewaltigeren Regen miterlebt zu haben. Trotz des unkontrollierbaren Zustands des Schattenbaumes, der gewaltige Mengen vom Regen fängt, gehe ich ans Fenster, um hinunter auf die Straße zu schauen. Um mich über die Situation zu informieren. Vielleicht kann ich daraus lesen, was noch auf mich zukommt in den nächsten Minuten.
Ich sehe, dass der nahe Fluss längst hereingefahren ist ins Innerste der Stadt.
Ich sehe, dass die Wogen wild und zum Äußersten bereit gegen die Eingangstür des Hauses drücken und mit Nachdruck Einlass verlangen. Ich weiß, dass das Wasser nicht nachgeben wird, bis die Tür endlich bricht und der Weg frei ist.
Dann werden die Wogen die Stufen nehmen. Eine nach der anderen. Menschen sind keine mehr auf der Straße.
Ich sehe ungläubige und verängstigte Augen in den Rahmen aufgemachter Fenster gegenüber.
Momentaufnahmen von erschreckten Menschen.
Inzwischen ist so viel Wind im Geäst des Baumes, dass erste Äste tatsächlich brechen.
Alles geht zu schnell. Es gelingt mir nicht, den Tisch aus der Gefahrenzone zu bringen und ein Ast kracht auf die Tischplatte. Diese hat dem Gewicht und der Wucht nichts entgegenzusetzen.
Zerbricht demnach sofort.
Die Wassermengen, die nun in mein Wohnzimmer fahren, haben Laub, Erde, aber auch mit Wind angefüllte Regenschirme, Schuhe, zu Skulpturen zurechtgebogene Fahrräder und in Panik geratene verlorene Kinder geladen.
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Die Situation draußen ist längst vollkommen außer Kontrolle geraten und auch ich hier in der Wohnung bin ratlos und ausgeliefert.
Das Wasser schlägt an die Wände wie ein endgültig aufgebrachtes und zu allem bereites Meer.
Es trommelt gegen die Klippen.
Mir fällt das Schlauchboot wieder ein, aber ich verwerfe den Gedanken daran sofort wieder, weil mir die Sinnlosigkeit dieser Idee bewusst ist.
Schließlich kenne ich die Kleinheit des Bootes und kann sie der Großartigkeit der Situation in meiner Wohnung gegenüberstellen.
Inzwischen sind alle Räume der Wohnung überflutet, in meinem Arbeitszimmer springt eine Welle hoch und drückt sogar einen Fensterflügel nach draußen, um wieder ins Freie zu gelangen.
(Das Buch erscheint im September 2014 im Keiper Verlag, Graz)